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Burhan Qurbani: „Fremdenhass wird wieder legitim.“

Kultur in Hannover

Kultur ist ein großes Puzzle. Wir setzen die Teilchen zusammen und als Motiv entsteht: Hannover. UNESCO City of Music, niedersächsische Landeshauptstadt, Messezentrum… Die Stadt ist vollgestopft mit tollen Menschen und Veranstaltungen. Egal, ob die Band aus dem Proberaum nebenan oder der Direktor des Museums – Ernst.FM hat für jeden Hörer das passende Puzzleteil.

[003] Burhan Qurbani: „Fremdenhass wird wieder legitim.“

Foto: Hendrik Ertel

Dreiundzwanzig Jahre sind die Ereignisse her und doch aktueller denn je: 1992 kam es in Rostock-Lichtenhagen zu Anschlägen auf ein Asylbewerberheim. Der Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ läuft seit vergangener Woche in den Kinos und beschreibt, wie es zu diesen grausamen Taten kommen konnte. Regisseur Burhan Qurbani hat vor fünf Jahren mit der Recherche begonnen. Damals konnte er nicht ahnen, dass das Thema „Fremdenfeindlichkeit in Deutschland“ durch den NSU und die Pegida-Bewegung so an Brisanz gewinnen würde.

Im Rahmen seiner Kinotour stellte Qurbani den Film im Kino am Raschplatz vor. Nach einer anschließenden Diskussion nahm sich der Regisseur Zeit für die Fragen unseres Redakteurs Laurenz. „Wir sind jung. Wir sind stark.“ lässt einen nachdenklich und bedrückt im Kinosessel zurück. „Wer lieber einen Feel-Good-Movie sehen möchte, kann ja in den Til-Schweiger-Film nebenan gehen“, sagt Qurbani.


Burhan, vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst. Die erste Frage zu deinem Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ ist eine naheliegende: Was hat dich bewegt, diesen zu machen?

Qurbani: Es war vor allem die Tatsache, dass wir einen Film gemacht haben über ein Ereignis, das im Begriff war, vergessen zu werden. Rostock-Lichtenhagen gilt bis heute als eine der größten zivilen Katastrophen im wiedervereinigten Deutschland. 3000 Menschen, die über vier Tage hinweg ein Asylantenheim angreifen. Und ich bin jetzt Anfang bis Mitte dreißig und meine Generation kann sich an diese Ereignisse noch schattenhaft erinnern, aber für die Generation meiner Schauspieler, die Anfang zwanzig ist, ist das gar nicht mehr präsent. Und wir dachten, es kann nicht sein, dass man diesen Anschlag auf 150 Vietnamesen einfach vergisst.

„Wir wollten eine Symphonie mit Paukenschlag.“

Du wählst in deinem Film anfangs schwarz-weiße Optik, die dann irgendwann in Farbe umschlägt. Was hast du dir dabei gedacht und wie hat es funktioniert?

Qurbani: Schwarz-Weiß historisiert, Schwarz-Weiß ästhetisiert und dadurch distanziert es. Der Zuschauer kann sich zurücklehnen und denkt sich: Okay, das ist vergangen, das ist vorbei, das kann ich ein bisschen fortschieben. Wir wechseln nach zwei Dritteln des Films in einem Moment zur Farbe, wo sich der Rhythmus und auch die Dynamik der Geschichte total verändern. Da wollen wir den Zuschauer am Kragen packen und noch einmal anders in den Film hineinziehen. Ich denke, dass es funktioniert, aber letztlich muss das der Zuschauer selbst entscheiden. Wir wollten eine Symphonie mit Paukenschlag. Das heißt, du hast am Anfang des Films eine Kamera, die wie ein Phantom gleitet und wie ein Gespenst durch die Geschichte führt. Und plötzlich ist der Zuschauer mittendrin in den Ereignissen. Am Anfang des Films gehst du mit den Jugendlichen durch einen langweiligen Tag, nichts passiert, es gibt keine großen Reize und keine großen Abenteuer. Aber plötzlich bist du mitten im Geschehen. Die Ästhetik im zweiten Teil hat auch etwas von einem Videoclip, fast schon etwas von einer Party.

Welche Szene hat dich denn emotional am meisten gepackt, wenn du dir den Film jetzt anschaust?

Qurbani: Das ist eine Szene, die ich dir nicht verraten kann, weil ich sonst den Film spoilern würde. Obwohl ich den Film gemacht habe, denke ich immer wieder: Krass, wie wir das geschafft haben. Es gibt Szenen mit vielen Komparsen, in denen Action ist. Wasserwerfer, Polizeistaffeln, die irgendwelche Chaoten packen und festnehmen. Keiner von uns hatte irgendeine Erfahrung damit und dass wir das hinbekommen haben, finde ich immer wieder toll. Natürlich stehe ich als Regisseur hier und kriege die Kritik beziehungsweise das ganze Lob ab, aber es ist keine Einzelleistung. Es ist ein Team von Leuten, die ganz viel Arbeit reingesteckt und die es möglich gemacht haben, dass wir diese beeindruckenden Szenen im Film haben.

Burhan Qurbani im Interview mit Laurenz Schreiner

Das Ereignis liegt mittlerweile über zwanzig Jahre zurück. Wie muss man sich deine Recherche vorstellen?

Qurbani: Wir hatten viel Glück. Und zwar haben wir relativ früh Leute kennengelernt, die Menschen kannten, die in dem Haus, dem „Sonnenblumenhaus“, wohnten. Damals und heute noch. Dann haben wir über die wieder andere Menschen kennengelernt. Wir haben viel in Rostock abgehangen, sind in die Jugendhäuser gegangen, haben dort auch Leute getroffen, die damals in Rostock gewesen sind. Und dann haben wir die offiziellen Kanäle angezapft, also die Politiker und die Rostocker Polizei offiziell angeschrieben. Wir haben mit dem damaligen Ausländerbeauftragten von Rostock-Lichtenhagen, Dr. Wolfgang Richter, gesprochen, wir haben als ZDF-Produktion auch schnell Kontakt zu dem ehemaligen ZDF-Team von „Kennzeichen D“ aufgenommen, das in dem Haus gefangen war. Und so hatten wir innerhalb von ein bis zwei Jahren Dutzende und Dutzende von Interviews und haben dann auch noch jeden Zeitungsartikel von damals gelesen. Es gab nur eine wirkliche Publikation zu dem Thema, „Politische Brandstiftung“ von Jochen Schmidt, die wir natürlich verschlungen haben. Und all diese Dinge sind ins Drehbuch eingeflossen. Es gibt auch viele Dialoge, die nicht nur inspiriert, sondern auch Zitate sind. Von jungen Menschen, die damals in Rostock-Lichtenhagen interviewt worden sind. Es ist eine Melange aus erfundenen Texten, fiktiven Figuren und tatsächlichen Wortfetzen und Gedanken von Menschen damals.

Du hast gesagt, ihr habt mit der Polizei gesprochen. Jetzt hat die Polizei in dem Film eine ganz besondere Rolle und versagt im entscheidenden Moment. Gab es da jetzt im Nachhinein Bestrebungen der Polizei, da den Deckmantel des Schweigens drüber zu hüllen?

Qurbani: Wir hatten am vergangenen Montag eine Vorführung in Rostock vor einheimischem Publikum. Und da war auch der jetzige Polizeipräsident von Rostock und er ist nach dem Film aufgestanden und natürlich war bei uns eine Beklemmung. Wir wussten nicht, was er sagen wird. Und dann sagte er: „Ich war damals Polizist vor diesem Haus. Und wenn ich diesen Film anschaue, muss ich sagen, dass ich mich schäme. Ich schäme mich als Polizeibeamter, dass ich nicht in der Lage war, die Menschen in diesem Haus zu beschützen. Und ich schäme mich als Bürger, weil ich nicht in der Lage war, diese Situation zu verhindern.“ Das ist das Gegenteil vom Deckmantel, sondern eine Auseinandersetzung mit der Schuld und mit dem, was schief gelaufen ist. Wobei ich sagen würde, dass der einfache Polizeibeamte am wenigsten Schuld trägt. Wir haben ein Interview mit einem Polizeibeamten geführt, der bis heute noch völlig traumatisiert ist. Er hat in den ersten Tagen ohne Schild, ohne Helm, ohne irgendeinen Schutz einen Schutzwall vor dem Asylantenheim gebildet und wurde von den Nachbarn, von seinen Mitbürgern, beschimpft, bespuckt und mit Steinen beworfen. Und hat trotzdem seine Stellung gehalten.

Was waren das denn für Menschen, die damals das Heim angegriffen haben und die gegen Polizisten in Zivil Steine geschmissen haben?

Qurbani: Das fürchterliche und verstörende für uns bei der Recherche war, festzustellen, dass es ganz normale Menschen waren und eben nicht nur, wie man vermuten würde, die Rechten, die da aufmarschieren und diese Party veranstalten. Es waren ganz normale Bürger, Jugendliche und Erwachsene, die sich vor dem Haus versammelt und dort ihren Frust abgeladen haben.

Wir sind jung. Wir sind stark.

Was sind denn für dich Faktoren, die Jugendliche dazu gebracht haben beziehungsweise bringen? Ist es vor allem die niedrige Bildung?

Qurbani: Zumindest in diesem Film versuchen wir, solche Erklärungsmuster zu vermeiden und wollen eben nicht sagen: Klar, wenn du aus einem schwierigen Haushalt kommst und als Eltern den Säufervater und die arbeitslose Mutter hast, musst du rechts werden und Ausländer hassen. Das war uns als Erklärungsmuster zu einfach. Wir erzählen eher, dass diese Kids zum Teil aus dem Bildungsbürgertum kommen. Und dass sie eigentlich aus gefestigten Haushalten kommen und trotzdem zu monströsen Sachen fähig sind. Und ich glaube, was damals auch mitgespielt hat, ist, dass die Kids in dieser Postwendezeit total allein gelassen worden sind. Und gleichzeitig gab es für die Jugendlichen ein Wertevakuum, ein Moralvakuum. Man merkt auch bei den Kids in meinem Film, dass sie stark nach einer Identität suchen, zum ersten Mal verliebt sind, zum ersten Mal Sex haben, zum ersten Mal Eifersucht und Betrug spüren. Und niemand ist da, um ihnen diese komplizierten Gefühle zu erklären. Diese Verwirrung verwandelt sich peu a peu in Frustration, diese Frustration verwandelt sich in Wut und diese Wut wird zu Gewalt. Und das ist so ein Ding, weshalb die Protagonisten in meinem Film vor diesem Haus landen und Steine werfen.

Du distanzierst dich von einer Beschreibung dieser Menschen als pure Nazis. Hast du in deiner Jugend auch selber die Erfahrung gemacht, dass dir nahestehende Leute diesen Rassengedanken positiv aufgenommen haben? Also Menschen, die wie die Hauptperson nicht klar als rechtsradikal zu definieren sind, aber dennoch offen sind für diese Gedanken.

Qurbani: Also in meinem direkten Umfeld war das nicht so. Also ich habe mitbekommen, dass manche Leute ins rechte Gedankengut abgeglitten sind. Ich habe es in meinem direkten Umfeld nicht mitbekommen, aber ich habe gesehen, wie es Freunden von Freunden passiert ist. Und das ist schon erschreckend, dass dieses Gedankengut so attraktiv sein kann. Mein Autor sagt immer so schön: Das Angebot, das die Rechten einem machen, ist eine Art Unverletzlichkeit. Du kriegst eine Identität, du kriegst ein Weltbild, das relativ einfach in schwarz und weiß sowie falsch und richtig unterteilt. Und so kannst du die Welt viel einfacher lesen. Was die Jugendlichen in meinem Film erleben, ist etwas differenzierter. Sie merken, dass Gefühle und die Welt komplexer sind. Der Umgang damit ist eben nicht so einfach. Und der einfache Weg raus sind Vorurteile und Fremdenhass, zumindest in der Situation in Rostock-Lichtenhagen.

„Es ist gar nicht so weit weg: Protestieren, dann Parolen schreien und dann jemanden angreifen.“

In vielen Städten Deutschlands gehen Menschen auf die Straße, um unter dem Namen „Pegida“ gegen die sogenannte Islamisierung zu protestieren. Hier sind viele ausländerfeindliche Rechtsradikale dabei. Flüchtlinge haben Angst, montags aus ihrem Heim zu gehen. Inwiefern erkennst du da Parallelen?

Qurbani: Gestern wurde in Dresden ein Flyer ausgeteilt. Dort soll ein neues Asylantenheim gebaut werden. Und der Flyer klingt fast genauso wie die, die damals in Rostock-Lichtenhagen verteilt wurden. Da heißt es: „Erste Bürgerdemo im Jahr 2015. Treffpunkt, Zeit. Gegen die zwei geplanten Asylbewerberheime auf der Karl-Marx-Straße.“ Und dann wird zum Protest aufgerufen, alles anonym. Es wird von bestimmten Asylanten gesprochen, die ruhig rein dürften, „zum Beispiel Edward Snowden“ steht hier. Der darf. Und dann wird von den Asylanten gesprochen, die eben nicht rein dürfen. Ganz am Ende steht: „Bitte kopieren und weiterverbreiten.“ Hier drunter ist kein Name, hier sieht sich niemand verantwortlich. Und solche Papiere sind damals auch in Lichtenhagen verteilt worden, kurz bevor die Ausschreitungen richtig angefangen haben. Die größte Parallele ist die Aufweichung von einem Vokabular und die Legitimation, ganz frei über rechte oder menschenfeindliche Gedanken zu sprechen. Und ich denke, wenn man anfängt, darüber zu sprechen, ist es gar nicht mehr so schwer, auch zu handeln. Und das ist für mich eine Parallele, die ganz präsent ist. Ich meine, es ist ja okay, wütend zu sein oder Angst zu haben. Ich glaube, es ist vor allem Angst. Aber es ist die Art und Weise, wie diese Angst auf die Straße getragen wird, die ich verstörend finde und die mir als Muslim in Deutschland Angst macht. Ich habe das Gefühl, dass es nicht so weit ist von „die Scheißsalafisten“ zu „die Scheißmuslime“. Was ich erschreckend finde und was auch eine Parallele zu Rostock-Lichtenhagen ist, ist, dass es inzwischen legitim ist, fremdenfeindlich zu sein. Das hat sich in Lichtenhagen über Monate angekündigt und das kündigt sich momentan wieder an. Ich hoffe natürlich nicht, dass es zu Gewalttaten kommt, aber wir haben vor ein paar Tagen in Leipzig gesehen, dass Polizisten angegriffen und Reporter verprügelt worden sind. Es ist gar nicht so weit weg. Protestieren, dann Parolen schreien und dann jemanden angreifen. Man sollte zumindest zur Vorsicht gemahnt sein.

„Wenn die Politiker nicht dagegenhalten, wie lange sollen wir es dann tun?“

Was kann man deiner Meinung nach dagegen tun? Wie sollten wir handeln, um das zu stoppen?

Qurbani: Ich finde es total lobenswert, wie viele Anti-Pegida– und Anti-Hogesa-Demonstrationen es gibt und dass in vielen Städten die Gegendemonstrationen besser besucht sind als die eigentlichen „Spaziergänge“. In meinem Film geht es vor allem um einen Politiker, der sich versteckt, der sich wegduckt, der keine Flagge zeigt. Wir haben diese Volksvertreter gewählt und die haben jetzt auch nach Dresden zu gehen. Die haben für das, wofür sie einstehen, für den Rechtsstaat, für den pluralistischen, freiheitlichen Gedanken, jeden Montag dorthin zu gehen – auch mit dem Risiko, ausgebuht, ausgepfiffen und mit Eiern beworfen zu werden. Denn wenn die Menschen, die wir gewählt haben, unsere Meinung zu vertreten, nicht den Mut haben, sich diesen „Spaziergängen“ zu stellen und zwar immer und immer wieder, so lange, bis diese Menschen bereit für einen fruchtbaren Dialog sind, dann wird es schwierig. Wenn unsere Volksvertreter nicht dagegenhalten, wie lange sollen wir dann dagegenhalten?

Ich kann mir vorstellen, dass man während der Arbeit an einem solchen Film am Guten im Menschen  zweifelt. Erst recht, wenn dann kurz vor Kinostart  die Ausländerfeindlichkeit von damals wieder neu auftaucht. Was lässt dich denn positiv in die Zukunft blicken?

Qurbani: Ich bin eher pessimistisch veranlagt, aber ich bin doch ein Sklave der Hoffnung. Jedes Mal, wenn ich sehe, wie viele Gegendemonstrationen es gibt und wie lange wir zum Beispiel gestern bei einer Vorstellung in Dresden diskutiert haben, wie leidenschaftlich Menschen sich gegen bestimmtes Gedankengut aus diesen „Spaziergängen“ stellen, dann habe ich gar keine Zweifel, dass das Ganze schon glimpflich ausgehen wird. Aber natürlich ist momentan unser demokratisches Sitzfleisch gefragt und es stellt sich die Frage, inwieweit wir bereit sind, dem Gedanken, der unser Grundrecht vertritt, Nachdruck zu verleihen – dadurch, dass wir auf die Straße gehen, dadurch, dass wir an Diskussionen teilnehmen, dadurch, dass wir uns engagieren und eben nicht diesen Menschen, die vereint in ihrer Wut und ihrer Angst auf die Straße gehen, die Oberhand in dieser Diskussion überlassen.

Dann ganz vielen Dank für deinen Film und deine Zeit am späten Abend.


Der Film „Wir sind jung. Wir sind stark.“ ist derzeit im Kino am Raschplatz zu sehen.

Diese Episode wurde veröffentlicht unter der Creative Commons Lizenz Namensnennung 3.0 Deutschland (CC BY 3.0 DE).


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